Maik legt eine Hand an meine Schulter. Innerlich zucke ich schon vor der Berührung ein kleines bisschen zusammen. Hätte ich doch diese Frage nie gestellt. „Wo sind denn Druckpunkte am Körper, die besonders wehtun?“ Ganz dumme Frage! „Komm ich zeig es dir mal … an dir.“ Na gut, jetzt muss ich da wohl wieder durch. Aber zumindest weiß ich dann, dass die Sache mit den Schmerzpunkten am Körper nicht bloß urbane Mythen sind. Ich kann es nun auch selber bestätigen: Ja, es gibt diese Punkte am Körper … und die tun VERDAMMT weh, wenn sie jemand drückt, der sich ein bisschen auskennt. Maik muss kaum Kraft aufwenden, um meine Körper vom Schmerz weg in die Richtung zu bekommen, wo er ihn haben will. „ Am besten lernt man sowas doch wenn man es auch merkt, oder nicht?“ lächelt Maik.
Aber springen wir doch kurz zum Anfang der ganzen Geschichte. Ich, eigentlich Fußballer seit Kindesbeinen, wollte mal schauen, was sich in unserer VfB-Kampfsportabteilung eigentlich abspielt. Denn so viele Anknüpfungspunkte zwischen Fußball und Kampfsport gibt es für mich nicht. Leider, muss man sagen. Denn im Nachgang hat dieser Ausflug in das Kampfsport-Universum viel Spaß gemacht und dazu viele spannende Erkenntnisse gebracht.
Acht einstündige Einheiten gab es im betitelten „Selbstverteidigungskurs für Anfänger“ der offiziell von der VHS angeboten wurde und bei dem Maik und Alex uns ein paar Grundlagen im Kampfsport zeigen sollten. Also eigentlich eine Kooperation aus VHS und der VfB-Kampfsportabteilung, bei dem viele kleine Techniken aus verschiedenen Kampfkünsten angerissen und den Teilnehmern gezeigt wurden.
Wie kann man sich mit wenig Kraftaufwand verteidigen? Wie kann man Alltagsgegenstände in Notsituationen einsetzten und welche einfachen Techniken gibt es? Das waren einige der grundlegenden Fragen, die in der Turnhalle am Hallenbad beantwortet werden sollten.
Und vieles davon wurde selbst in den kurzen einstündigen Einheiten beantwortet. Auch wenn Maik und Alex immer wieder betonen, dass es natürlich nur ein Kratzen an der Oberfläche des Kampfsports ist, hat man gemerkt, wie komplex das ganze Thema ist. Man hat aber auch gemerkt, dass schon die wenigen Techniken, die uns Laien beigebracht wurden, in der Not eine große Wirkung haben können. Um hier mal einen ganz kurzen Abriss dieser 8 Stunden zu geben:
Aufmerksam durch die Welt gehen und gefährliche Situationen frühzeitig erkennen und aus dem Weg gehen. Die beste Verteidigung ist nicht, nicht da zu sein.
Weiter geht es meistens darum einen Angriff früh zu unterbinden und dann schnell mit einem Gegenschlag den Angreifer zu überraschen. Und hier wurden von Maik und Alex die verschiedensten Szenarien durchgespielt. Schläge, Greifen, Würgen und das alles in den unterschiedlichsten Situationen wurde gelernt zu verteidigen. Wenn Maik und Alex Übungen in ihrem Tempo vorgeführt haben, war das für uns alle schon beeindruckend mit welcher Geschwindigkeit und Präzision die beiden die Techniken beherrschen. Für uns zum erlernen mussten die beiden dann schon in Zeitlupe arbeiten, damit wirklich die Handgriffe und Bewegungsabläufe verstanden wurden.
Klar, man kannte nun in den Übungen immer das „Drehbuch“ und wusste schnell wie man dann Angriffe verteidigt. Wie die Reaktion außerhalb des Trainingsraumes ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Aber Techniken zu kennen kann grundsätzlich bestimmt nicht schaden. Das ist glaube ich ein Stück weit wie bei einem Erste Hilfe Kurs. Es mal gemacht haben, gibt einem Sicherheit, aber ob man dann in einer Extremsituation gelerntes spontan einsetzen kann ist vermutlich bei jedem etwas anders.
Beeindruckend war vor allem: Es kommt meist gar nicht auf Kraft und Sportlichkeit an. So kann auch eine zierliche Person sich gegen einen körperlich überlegenen Angreifer durchaus verteidigen, wenn man weiß wie. Vor allem mit Hebeltechniken kann man hier schnell Griffe lösen und direkt zum Gegenschlag ansetzten.
Neben dem Verteidigen mit seinem eigenen Körper wurden auch Gegenstände in die Trainingsstunden einbezogen. Das stammt vor allem aus dem Bereich des Modern Arnis, wo Stöcke im Training eingesetzt werden, die für jeden erdenklichen Alltagsgegenstand stehen können. Hier wurden verschiedene Szenarien durchgespielt. Zum Beispiel auch einen Angriff mit einem Gegenstand zu verteidigen.
Eine der acht Stunden wurde auch sehr nah an einem Praxisbeispiel geübt. „Ein Smartphone hat heute fast jeder immer in der Tasche mit dabei, wenn er vor die Tür tritt“, weiß Maik. „Und wenn man sich damit verteidigt, kann das verdammt wehtun.“ Und er hat recht. Mit dem eckigen harten Gegenstand braucht es nicht einmal viel Druck, um an Stellen, an denen es wenig Haut und viel Knochen gibt einen starken Schmerz zu verursachen. So kann ein Griff abseits von Hebeltechniken, die dem Angreifer weniger Schmerz hinzufügen, mit eine Smartphone schon deutlich schmerzhafter gelöst werden.
„Ein Schlüsselbein bricht schon bei einem Druck von 7 bis 8 Kilo,“ sagt Alex. „Das ist nicht so viel und wenn man mit einem Smartphone hier auf den richtigen Punkt drückt oder schlägt geht der Angreifer schon schnell in die Knie.“
Eine wichtige Regel sei hier noch erwähnt: Ein Smartphone kann zum verteidigen genutzt werden. Doch in der Tasche ist es nutzlos. Also eine Mahnung unserer beiden Coaches: „Seid bereit!“. Fühlt man sich bedroht sollte der Alltagsgegenstand schon so in der Hand liegen, dass man ihn auch direkt nutzen kann.
Am Ende des Kurses kann man sagen: Die vielen blauen Flecken am nächsten Tag waren es Wert!
Es lohnt sich auch mal außerhalb des eigenen sportlichen Tellerrands den Blick schweifen zu lassen und neues auszuprobieren. Vor allem, wenn vor der eigenen Vereinshaustür so viel Wissen vorhanden ist, über das man sich noch gar keine Gedanken gemacht hat und das man vielleicht nutzen sollte. Was grundlegend hängenbleibt ist, dass Kampfsport viel mehr Kopfsache ist als man denkt. Reaktion und auch Koordination sind extrem wichtig, um sich hier voll ausleben zu können.
Danke Maik und Alex für diesen Einblick. Es war bestimmt nicht der letzte, den ich in diesem Bereich erhalten habe.
PS: Ein kleiner Rat für Frauen von den Coaches: „Ein Tritt zwischen die Beine ist meistens auch sehr effektiv.“ 🙂